Gastspiel Volkstheater Wien – Fugue Four : Response
Menschwerdung des Kapitals
Posieren, schwitzen, paaren und das bitte in Perfektion: Der Kapitalismus hat unsere Sexualität infiltriert. Alles ist möglich. Und für alles gibt es Bilder. "Fugue Four : Response“ von Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann wagt einen Ausbruchsversuch – mit anderen, alternativen Bildern.
von Dorte Lena Eilers
29. April 2023. Insta, Insta in meiner Hand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Natürlich ich. Selbstverständlich ich. Seht mich doch an. Meine Augen, meine Haut, meine Haare. Ich, ich, ich. Daran gibt es keinen Zweifel. Was? Sie meinen, auch Sie? Na ja, vielleicht auch Sie. Sie da hier vorn. Und, okay, auch dort hinten. Leute, schaut uns an. Lauter hot bitches!

Der Mensch im 21. Jahrhundert ist von Spiegeln umstellt. Aussehen ist alles, und alles ist möglich. Wichtig ist nur der Faktor Aufmerksamkeit. "Die Schande“, erklärt eine verzerrte Vocoder-Stimme aus dem Off, "besteht nicht darin, sich zu verkaufen, sondern nicht verkauft zu werden.“ Der Kapitalismus ist allumfassend. Ein totaler Krieg. Derart dröhnend klingt das Theoriegerüst von "Fugue Four : Response“, dem Uraufführungsgastpiel des Volkstheaters Wien. Die Texte, die hier immer wieder zitiert werden, entstammen dem Pamphlet eines französischen Autor:innen-Kollektivs namens TIQQUN. Die "Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens“, 2011 auf Deutsch erschienen, zeichnet in der Tradition des linken Denkens eine Welt ohne Außen, in der das ökonomische System total geworden ist und somit auch tief in unseren Körpern und Gefühlen nistet. Die Vollendung der Menschwerdung des Kapitals. Rollen- und Körperbilder à la Hollywood.
Zurichtung der Körper
Körper gibt es an diesem Abend ausgiebig auf der Bühne zu sehen. Lediglich mit berüschten Shorts bekleidet, präsentieren, begutachten, drehen, verbiegen, malträtieren sich die vier Performer:innen Luca Bonamore, Thea Ehre, Nick Romeo Reimann und Olivia Axel Scheucher auf der leeren Bühne. Die Figur des Jungen-Mädchens, die das französische Manifest konstruiert, ist ein weibliches, in seinem Warencharakter aber alles vereinende Schreckenswesen, eine Art "Super-Model“, das den "Frauenaufreißer in der Disco“ ebenso meint wie die “städtische Single-Frau, die zu sehr an ihrer Consulting-Karriere hängt”. Eine Ware ist eine Ware ist eine Ware, die für die "ständige Zirkulation von Standardaffekten sorgt“. Wie soll man in diesem Alles, das im Grunde ein Nichts ist, in dieser Freiheit, die eine Unfreiheit ist, noch leben und vor allem lieben? Diesem Gedanken geht "Fugue Four : Response“ nach.
Ist das noch Sport oder schon Sado-Maso? © Nikolaus Ostermann
Ähnlich wie Roland Barths "Mythen des Alltags“ beginnt die "Theorie des Jungen-Mädchens“ mit einer Analyse alltäglicher Phänomene, wie etwa der Zurichtung des Körpers in einem Fitnessstudio. Eine gefühlte Ewigkeit lang trimmen daher die vier Performer:innen ihre Bodys, auf dem Boden liegend, mit schwarzen Therabändern um die Glieder, zuckend, wippend, Beine spreizend, den Tonus trainierend. Ist das noch Sport oder schon Sado-Maso?
Kurz glaubt man sich in eine Performance von Florentina Holzinger verirrt, da kippt der Abend in eine andere Richtung. Der Zurichtung der Körper folgt die Zurichtung der Gefühle. Nick Romeo Reimann persifliert mit jungenhaftem Charme einen Hot American Boy, der zwar weltmeisterlich im "pumping“, leider aber nicht im "cumming“ ist – "You know? Cumming? When it pffffffff, explode!“ –, während Olivia Axel Scheucher von ihren "category misfits“ erzählt, den vorgefertigten, von ihr permanent verfehlten Bildern der Teenager-Sexualität.
Semantische Dekonstruktionsübungen
Just jene Bilder, jene überall verfügbaren, digital perfektionierten, vorrangig heteronormativen Körperbilder, Sexbilder, Geschlechterbilder sind es, die mit ihrem "alles ist möglich“ alles versauen. Derart fixiert auf den grenzenlosen Sex, ist Sex gar nicht mehr denkbar. Was bleibt, ist knallhart einstudierte Choreografie. Die Einübung sämtlicher Stellungen, die Selbstbetrachtung im Spiegel, das Stöhnen vom Band. "Ich habe keine Ahnung, mit wem ich Sex hatte. Ich kann mich immer nur an mich selbst erinnern“, witzelt die Performer:in Thea Ehre. So sieht es also aus.
"Fugue Four : Response“ entwirft eine Körpersoziologie, die tatsächlich etwas Maschinenhaftes hat. "Ist das noch mein Arm oder schon mein Laptop?“ Eine verdächtige Frage, denn zwischendurch rätselt man durchaus, ob die Theoretiker:innen von TIQQUN selbst noch wahrnehmen, was hinter ihren Theoriespiegeln so vor sich geht, Kriege etwa, oder der Kollaps unseres Klimas. Man muss einwerfen: Das tun sie durchaus, ist hier an diesem Abend aber nicht Thema.
Fluide Geschlechtlichkeit? © Nikolaus Ostermann
Trotzdem tut es gut, dass Regisseur:in Olivia Scheucher und Co-Regisseur Nick Romeo Reimann dem raunenden Sound des Pamphlets, das sich gerne in verschlungenen Zirkelsätzen ergeht – "Das Junge-Mädchen ist die lebendige Präsenz von allem, was menschlich unseren Tod will“ –, mit Witz und Humor begegnen, der schon darin liegt, dass man den Begriff "Junge-Mädchen“ auch anders lesen könnte. Nicht als junges Mädchen, sondern als fluide Geschlechtlichkeit zwischen Junge und Mädchen. Darauf zielen die körperlichen und semantischen Dekonstruktionsübungen dieser Performance ab. Das "Lied vom Ende des Kapitalismus“ (PeterLicht) ist zwar längst verklungen. Doch vielleicht gibt er, so die Hoffnung, unsere Körper ja bald mal wieder frei.
von Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann
Konzept und Regie: Olivia Axel Scheucher, Co-Regie: Nick Romeo Reimann, Bühne: Nick Romeo Reimann, Olivia Axel Scheucher, Kostüme: Alissa Herbig, Felix Schmidt, Sound: Nick Romeo Reimann, Augmented Reality, Animationen: Andreas Palfinger, Dramaturgische Beratung: Matthias Seier, Produktionsleitung: Lisa Anetsmann
Mit: Luca Bonamore, Thea Ehre, Nick Romeo Reimann, Olivia Axel Scheucher
Dauer: 60 Minuten, ohne Pause
www.volkstheater.at
>Programm
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Pirsch
von Ivana Sokola
Regie: Jana Vetten
Alter Saal
Gastspiel FUTUR3 in Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln und Orangerie Theater Köln
Die Revolution lässt ihre Kinder verhungern
von André Erlen und Stefan H. Kraft
Regie: André Erlen
auf Deutsch und Ukrainisch
mit deutschen und ukrainischen Übertiteln
Uraufführung
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb I
13:30 Uhr
draußen ist wetter (oder die erfindung der straßenverkehrsordnung) von Caspar-Maria Russo
14:30 Uhr
Blaupause von Leonie Lorena Wyss
16:00 Uhr
Doppeltreppe zum Wald von Lamin Leroy Gibba
Zwinger 1
Gastspiel Volkstheater Wien
in Kooperation mit Olivia Axel Scheucher
FUGUE FOUR: RESPONSE
von Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann
Regie: Olivia Axel Scheucher
Uraufführung
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspielhaus Bochum
Baroque
von Lies Pauwels
Regie: Lies Pauwels
Uraufführung
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr
no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal) von Svealena Kutschke
14:30 Uhr
Va†erzunge von Miriam Unterthiner
16:00 Uhr
Dann mach doch Limonade, Bitch von Kim de l’Horizon
Gastspiel Theater Dortmund
Über Leben
oder ἀτλαντὶς νῆσος. oder näher, mein gott, zu dir.
oder alles war für immer bis es aufhörte
von Annalena Küspert und Konstantin Küspert
Regie: Ruven Bircks
Nominiert für den Nachspielpreis
Amtsstübl im Verein Alt Heidelberg
Institut für Kontrolle und Exzess
saufen fechten heidelberg
Eine Theaterperformance zum Thema Studentenverbindungen und Burschenschaften
Rahmenprogramm
=>Tickets
Zwinger 3
Gastspiel Berliner Ensemble
ROT. Die Outtakes des Fabian Michael Möntges
Film von Clemens J. Setz
Regie: Kristina Seebruch
Alter Saal
Gastspiel Schauspiel Hannover
Wir sind nach dem Sturm
von Kevin Rittberger
Regie: Marie Bues
Uraufführung
Maguerre-Saal
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Aus dem Leben
von Brigitte Venator und Karin Beier
Regie: Karin Beier
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Junges Ensemble Stuttgart
Oma Monika
Was war? 8+
von Milan Gather
Regie: Milan Gather
Mülheimer Kinderstückepreis 2022
Zwinger 1
Gastspiel Staatsschauspiel Dresden
Die Katze Eleonore
von Caren Jeß
Regie: Simon Werdelis
Uraufführung
Sprechzimmer
Gastspiel Theater im Marienbad Freiburg
What The Body?! 13+
Stückentwicklung von Lisa Bräuniger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch
Regie: Anne Wittmiß
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Staatstheater Darmstadt
Drei Kameradinnen 14+
von Shida Bazyar, Fassung von Golda Barton
Regie: Isabelle Redfern
Nominiert für den Jugendstückepreis
anschl. Publikumsgespräch
Sprechzimmer
Gastspiel Schauspiel Essen
Die Wand (360°)
Film nach dem Roman von Marlen Haushofer
VR-Fassung von Thomas Krupa
Vorstellungen um 11:Uhr, 13:30 Uhr, 18:30 Uhr
Dauer: jeweils ca. 1 Stunde
Zwinger 1 + 3
Gastspiel Theaterakademie Hamburg in Kooperation mit Junges Schauspielhaus Hamburg
Out There 13+
von Stanislava Jević
Regie: Dominique Enz
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Burgtheater Wien
Adern
von Lisa Wentz
Regie: David Bösch
Uraufführung
Zwinger 1 + 3
Gastspiel Theaterakademie Hamburg in Kooperation mit Junges Schauspielhaus Hamburg
Out There 13+
von Stanislava Jević
Regie: Dominique Enz
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Theater Basel
Wie alles endet
von Manuela Infante
Regie: Manuela Infante
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Schauspiel Frankfurt
Die letzte Geschichte der Menschheit
von Sören Hornung
Regie: Leon Bornemann
Nominiert für den Nachspielpreis
Marguerre Saal
Philharmonisches Orchester Heidelberg
Konzert
Sonderprogramm mit Musik aus Schweden und Finnland
Rahmenprogramm
Zwinger 3
Gastspiel OutOfTheBox in Kooperation mit LOT-Theater Braunschweig
In Ghosts We Trust
von Susanne Schuster und Ricardo Gehn
Dauer: jeweils 1 Stunde
Zeitslots:
10:00 /11:30 /
13:00/ 14:30 /
16:00/ 17:30 /
19:00/ 20:30
Alter Saal
Gastspiel Schauspiel Leipzig
zwei herren von real madrid
von Leo Meier
Regie: Albrecht Schroeder
Zwinger 3
Eröffnung Gastland-Programm Schweden
Zwinger 3
Internationaler Autor:innenwettbewerb
13:30 Uhr Leichenschmaus von Alejandro Leiva Wenger
14:30 Uhr Girls will make you blush von Åsa Lindholm
16:00 Uhr Hierarchy of Needs von Adel Darwish
Zwinger 1
Gastspiel Deutsches Theater Berlin
Das Augenlied ist ein Muskel
von Alexander Stutz
Regie: Jorinde Dröse
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Dramaten in Kooperation mit Lumor Teater Stockholm
Ambulanz
von Paula Stenström Öhman
Regie: Paula Stenström Öhman
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Sprechzimmer
Theater in Schweden
Podiumsgespräch
Eintritt frei
Alter Saal
Gastspiel Backa Teater Göteborg
Glücklich bis ans Ende unserer Tage [10+]
Lyckliga i alla våra dagar
von Emma Palmkvist
Regie: Lars Melin
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Marguerre-Saal
Gastspiel Orionteatern Stockholm in Kooperation mit Riksteatern
… Anna Karenina
Det har aldrig funnits en kvinna som Anna Karenina
von Tone Schunnesson
Regie: Ragna Wei
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Alter Saal
Preisverleihung
Eintritt frei
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