Gastspiel OutOfTheBox / LOT-Theater Braunschweig – In Ghosts We Trust
Möchtest du hier wohnen?
Ghostwork ist nicht besonders anstrengend, dafür aber stupide und mies bezahlt. Susanne Schuster und Ricardo Gehn haben für "In Ghosts We Trust" eine immersive Installation gebaut, die einen immer tiefer in die Abgründe der neuen Arbeitswelt zieht.
Von Falk Schreiber
5. Mai 2023. Der "Schachtürke" war eine Jahrmarktsattraktion, gebaut 1789 vom österreichisch-ungarischen Hofbeamten und Mechaniker Wolfgang von Kempelen: eine leicht orientalisiert ausstaffierte Figur auf einem Podest, die angeblich in der Lage war, mechanisch eine Partie Schach zu spielen. Tatsächlich aber funktionierte hier nichts mechanisch, vielmehr versteckte sich ein Schauspieler im Podest und steuerte von dort aus die Bewegungen der Puppe.

Susanne Schuster und Ricardo Gehn, die gemeinsam das in Niedersachsen und Hamburg beheimatete Performanceduo OutOfTheBox bilden, bauen mit "In Ghosts We Trust" einen "Schachtürken" des Jahres 2023 nach: eine angeblich künstliche Intelligenz der Dienstleistungsgesellschaft, die nur so tut, als ob sie künstlich wäre, in Wahrheit aber von realen Menschen bedient wird. Die Installation, die im Rahmen des Netzmarkts beim Heidelberger Stückemarkt zu sehen ist, versetzt das Publikum in die Rolle sogenannter "Ghostworker". Ghostworer:innen, das sind schlecht bezahlte Telearbeiter:innen, die nicht besonders fordernde, dafür aber gehörig gleichförmige Tätigkeiten vollführen: Nachprüfen in sozialen Netzwerken, ob hochgeladene Fotos womöglich primäre Geschlechtsmerkmale zeigen, einschätzen, ob Gesprächspartner:innen Bots oder echte Menschen sind, so etwas.
Identifikation, klick, klick, Identifikation, klick
Die angebotenen Arbeitsplätze wirken auf den ersten Blick gar nicht unangenehm. Man bekommt ein kuscheliges Bett zur Verfügung gestellt, in dem man sich während der Arbeitszeit fläzen kann, dazu ein Telefon, einen Kopfhörer und ein Tablet. Allerdings steht direkt daneben noch ein identischer Arbeitsplatz. Und daneben noch einer. Man ist in gleichförmigen Waben eingesperrt, denen alles Individuelle fehlt. Außerdem muss man sich ständig telefonisch identifizieren, "Ich bin kein Roboter", das erweist sich als so stupide wie die Prüfung von zufällig aufpoppenden Fotos, bezüglich der Frage, ob man hier gerne wohnen würde. Ein Hochhaus: check. Eine Scheune: negativ. Ein Plattenbau: check. Das Eingangstor von Auschwitz: äh?
So kämpft man sich durch die Arbeit, klick, Identifikation, klick, klick, Identifikation, klick, Fehlermeldung. Die Fehlermeldungen sind besonders nervig, weil man erstmal nicht versteht, was zu tun ist, und wenn man die angegebene Servicenummer anruft, dann landet man in der Hölle der Warteschleifen. "Wenn Sie einfach mal laut jemanden anschreien möchten, dann drücken Sie die 5", na, Danke. Und auch technisch ist die Plattform nicht ohne, der Screen flackert, die Sounds dröhnen im Ohr, irgendwann weiß man sich nicht mehr zu helfen und versucht verzweifelt, immer wieder aufpoppende Fehlermeldungen wegzuklicken. Wieviel verdient man gerade? Centbruchteile?
Ein Arbeitsplatz neben einem Arbeitsplatz neben einem Arbeitsplatz – Bei "In Ghosts We Trust" lernt das Publikum das Ghostworking. Foto © Anna Kristina Bauer
Nach Feierabend wenigstens darf man weiter telefonieren. Da hört man dann Berichte von echten Ghostworker:innen, von der Hoffnung, irgendwann einen "echten" Job zu erlangen, von der inhaltlichen Befriedigung, eine künstliche Intelligenz zu trainieren und so das Internet tatsächlich zu verändern, vom Frust, nicht als Mensch anerkannt zu werden. In diesen Passagen wird "In Ghosts We Trust" zum verhältnismäßig konventionell aufgebauten Dokumentartheater, zumal nicht nur Betroffene sondern auch Expert:innen zu Wort kommen und beispielsweise die Probleme gewerkschaftlicher Organisation in diesem Graubereich der Arbeitswelt beschreiben.
Schnell aber wird man wieder aus der passiven Haltung gerissen, schnell muss man wieder ranklotzen. Die Arbeit will ja erledigt werden, selbst wenn man nicht versteht (und wahrscheinlich auch gar nicht verstehen soll), was genau man da für eine Arbeit macht. Zumindest wenn man zum Arbeiten kommt und nicht nur ständig mit den Tücken der Technik kämpft.
Zu einem Drittel ist "In Ghosts We Trust" also Infotainment, das einen mit bestimmten Verwerfungen der Arbeitswelt vertraut macht, zu einem Drittel ist es leicht beunruhigende immersive Installation. Und zu einem Drittel ist es ein Game, das in höheren Leveln kaum noch spielbar ist. Das ist vielleicht der wirklich beängstigende Aspekt dieser klugen, ausgefeilten Arbeit: Man ahnt, dass es in diesem Spiel Gewinner:innen geben könnte. Aber man hat keine Vorstellung davon, wer diese Gewinner:innen sein könnten, man weiß nur: Man selbst ist es sicher nicht.
Interaktive Installation von OutOfTheBox
Konzept: OutOfTheBox (Susanne Schuster, Ricardo Gehn), Installation von und mit OutOfTheBox, Lena Biresch, Tina Ebert, Neïtah Janzing, Anton Kurt Krause, Merle Mühlhausen, Koproduktion: LOT-Theater Braunschweig, Leitung Software: Ricardo Gehn, Mitarbeit Software: Lena Biresch, Gamedesign und Hardware: Anton Kurt Krause, Dramaturgie und Kommunikation: Tina Ebert, Mitarbeit Dramaturgie und Produktion: Merle Mühlhausen, Mitarbeit Ausstattung: Neïtah Janzing, Produktionsleitung: Susanne Schuster
Interviewpartner:innen: Anonymous, Anonymous, Erica Dachinger, Hunter Keels, Mariya (IG Metall), Carolina Reis, Sebastian Strube und Josef Wolstencroft, Sprecher:innen: Martin Bruchmann, Lena Maria Eikenbusch, Nils Malten, Stefanje Meyer, Marcus Reinhardt, Joanna Harries, Justine Anne O’Grady, Ross Trigg, Beratung IP Telefone: Georg Werner
Premiere 27. Oktober 2022
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
outofthebox-now.de
lot-theater.de
>Programm
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Pirsch
von Ivana Sokola
Regie: Jana Vetten
Alter Saal
Gastspiel FUTUR3 in Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln und Orangerie Theater Köln
Die Revolution lässt ihre Kinder verhungern
von André Erlen und Stefan H. Kraft
Regie: André Erlen
auf Deutsch und Ukrainisch
mit deutschen und ukrainischen Übertiteln
Uraufführung
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb I
13:30 Uhr
draußen ist wetter (oder die erfindung der straßenverkehrsordnung) von Caspar-Maria Russo
14:30 Uhr
Blaupause von Leonie Lorena Wyss
16:00 Uhr
Doppeltreppe zum Wald von Lamin Leroy Gibba
Zwinger 1
Gastspiel Volkstheater Wien
in Kooperation mit Olivia Axel Scheucher
FUGUE FOUR: RESPONSE
von Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann
Regie: Olivia Axel Scheucher
Uraufführung
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspielhaus Bochum
Baroque
von Lies Pauwels
Regie: Lies Pauwels
Uraufführung
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr
no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal) von Svealena Kutschke
14:30 Uhr
Va†erzunge von Miriam Unterthiner
16:00 Uhr
Dann mach doch Limonade, Bitch von Kim de l’Horizon
Gastspiel Theater Dortmund
Über Leben
oder ἀτλαντὶς νῆσος. oder näher, mein gott, zu dir.
oder alles war für immer bis es aufhörte
von Annalena Küspert und Konstantin Küspert
Regie: Ruven Bircks
Nominiert für den Nachspielpreis
Amtsstübl im Verein Alt Heidelberg
Institut für Kontrolle und Exzess
saufen fechten heidelberg
Eine Theaterperformance zum Thema Studentenverbindungen und Burschenschaften
Rahmenprogramm
=>Tickets
Zwinger 3
Gastspiel Berliner Ensemble
ROT. Die Outtakes des Fabian Michael Möntges
Film von Clemens J. Setz
Regie: Kristina Seebruch
Alter Saal
Gastspiel Schauspiel Hannover
Wir sind nach dem Sturm
von Kevin Rittberger
Regie: Marie Bues
Uraufführung
Maguerre-Saal
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Aus dem Leben
von Brigitte Venator und Karin Beier
Regie: Karin Beier
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Junges Ensemble Stuttgart
Oma Monika
Was war? 8+
von Milan Gather
Regie: Milan Gather
Mülheimer Kinderstückepreis 2022
Zwinger 1
Gastspiel Staatsschauspiel Dresden
Die Katze Eleonore
von Caren Jeß
Regie: Simon Werdelis
Uraufführung
Sprechzimmer
Gastspiel Theater im Marienbad Freiburg
What The Body?! 13+
Stückentwicklung von Lisa Bräuniger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch
Regie: Anne Wittmiß
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Staatstheater Darmstadt
Drei Kameradinnen 14+
von Shida Bazyar, Fassung von Golda Barton
Regie: Isabelle Redfern
Nominiert für den Jugendstückepreis
anschl. Publikumsgespräch
Sprechzimmer
Gastspiel Schauspiel Essen
Die Wand (360°)
Film nach dem Roman von Marlen Haushofer
VR-Fassung von Thomas Krupa
Vorstellungen um 11:Uhr, 13:30 Uhr, 18:30 Uhr
Dauer: jeweils ca. 1 Stunde
Zwinger 1 + 3
Gastspiel Theaterakademie Hamburg in Kooperation mit Junges Schauspielhaus Hamburg
Out There 13+
von Stanislava Jević
Regie: Dominique Enz
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Burgtheater Wien
Adern
von Lisa Wentz
Regie: David Bösch
Uraufführung
Zwinger 1 + 3
Gastspiel Theaterakademie Hamburg in Kooperation mit Junges Schauspielhaus Hamburg
Out There 13+
von Stanislava Jević
Regie: Dominique Enz
Nominiert für den Jugendstückepreis
Alter Saal
Gastspiel Theater Basel
Wie alles endet
von Manuela Infante
Regie: Manuela Infante
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Schauspiel Frankfurt
Die letzte Geschichte der Menschheit
von Sören Hornung
Regie: Leon Bornemann
Nominiert für den Nachspielpreis
Marguerre Saal
Philharmonisches Orchester Heidelberg
Konzert
Sonderprogramm mit Musik aus Schweden und Finnland
Rahmenprogramm
Zwinger 3
Gastspiel OutOfTheBox in Kooperation mit LOT-Theater Braunschweig
In Ghosts We Trust
von Susanne Schuster und Ricardo Gehn
Dauer: jeweils 1 Stunde
Zeitslots:
10:00 /11:30 /
13:00/ 14:30 /
16:00/ 17:30 /
19:00/ 20:30
Alter Saal
Gastspiel Schauspiel Leipzig
zwei herren von real madrid
von Leo Meier
Regie: Albrecht Schroeder
Zwinger 3
Eröffnung Gastland-Programm Schweden
Zwinger 3
Internationaler Autor:innenwettbewerb
13:30 Uhr Leichenschmaus von Alejandro Leiva Wenger
14:30 Uhr Girls will make you blush von Åsa Lindholm
16:00 Uhr Hierarchy of Needs von Adel Darwish
Zwinger 1
Gastspiel Deutsches Theater Berlin
Das Augenlied ist ein Muskel
von Alexander Stutz
Regie: Jorinde Dröse
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Dramaten in Kooperation mit Lumor Teater Stockholm
Ambulanz
von Paula Stenström Öhman
Regie: Paula Stenström Öhman
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Sprechzimmer
Theater in Schweden
Podiumsgespräch
Eintritt frei
Alter Saal
Gastspiel Backa Teater Göteborg
Glücklich bis ans Ende unserer Tage [10+]
Lyckliga i alla våra dagar
von Emma Palmkvist
Regie: Lars Melin
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Marguerre-Saal
Gastspiel Orionteatern Stockholm in Kooperation mit Riksteatern
… Anna Karenina
Det har aldrig funnits en kvinna som Anna Karenina
von Tone Schunnesson
Regie: Ragna Wei
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Alter Saal
Preisverleihung
Eintritt frei
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