Autor:innenpreis
Frankfurter Hauptschule - 2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger
Der Maler und Bildhauer Martin Kippenberger veröffentlichte 1986 das wenig bekannte Buch "241 Bildtitel zum Ausleihen für Künstler". Ausgehend von dieser Idee hat das Kollektiv Frankfurter Hauptschule eine eigene Sammlung von Titeln für Kunstwerke, die es nicht gibt, er- und gefunden und zu einem Text arrangiert. Hoch- und popkulturelle Referenzen verschmelzen, überlagern sich, überfordern und werden zu dialogischen Verwirrspielen, sarkastischen Anrufungen der Nazizeit oder purem Klamauk. Ihre Titeldramatik gewinnt an Aktualität, wenn wir sie als Umgang mit Text denken, wie er momentan bei Memes, Tweets und Captions und damit auf Plattformen wie Instagram, Bluesky und X vorkommt: ein böse funkelndes Kulturindustrie-Potpourri.
Die Frankfurter Hauptschule ist ein zwanzigköpfiges Kollektiv, das sich an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt am Main zusammenfand. Seit 2013 erforscht die Gruppe Kunst- und Schmerzgrenzen im Stresstest des öffentlichen und medialen Raums. Seit dem Wintersemester 2021/22 lehrt das Kollektiv an der Universität der Künste Berlin.
Zum Stückporträt: 2x241 Titel doppel so gut wie Martin Kippenberger
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Das Stückporträt: 2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger – Frankfurter Hauptschule
Der Hammer, mit dem wir unseren Feind erschlagen
Von Sophie Diesselhorst
29. Februar 2024. Das 20-köpfige Künstler:innenkollektiv Frankfurter Hauptschule (FHS) hat sich bisher eher mit artivistischen Performances einen Namen gemacht als mit Texten: Im Wagnerjahr 2013 verteilte die FHS in ihrer ersten Aktion 50.000 gefälschte Eintrittskarten für die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele, "um die posthume Redemokratisierung des Antisemiten Richard Wagner zu kritisieren". 2018 fingierte die Gruppe einen Angriff der Identitären Bewegung auf die Wiesbaden Biennale, und in Oberhausen inszenierte sie im Rahmen des Festivals "Schlingensief2020" medienwirksam den Diebstahl von Joseph Beuys' "Capri Batterie" und die Überführung einer Replik in ein ethnologisches Museum in Tansania.
Nun gibt das Kollektiv erstmals eine Arbeit im Vorstadium der Performance an die Öffentlichkeit. Der Text "2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger" fällt nicht überraschend aus der Reihe dessen, was sonst so beim Autor:innenwettbewerb zu lesen und zu hören ist. Angeordnet sind die 482 Titel, aus denen er besteht, in Form einer Tabelle. In drei Spalten werden sie gereiht in "Gesprochen" und "Geschrieben". Die dritte Spalte ist reserviert für Regieanweisungen wie zum Beispiel "Titel 33 und 34 betont wie in 'Smells like Teen Spirit'." oder "Alle vier Performer sprechen durcheinander." Das Arrangement gibt eine ziemlich genaue Vorstellung vom Endprodukt vor.
"Verweile doch, du bist so scheiße"
Dabei dominierte im Arbeitsprozess der Zufall. Die Gruppe beruft sich auf das Verfahren des "Détournements" der Situationistischen Internationalen, eine frühe Form der künstlerischen Aneignung von (Pop)kultur. "Konkret haben wir über einen Zeitraum von sechs Jahren nebenher Titel gesammelt, und dann hat eine kleinere Runde ausgesiebt (wir hatten vermutlich gut 3000 Titel)", schreiben FHS auf Nachfrage. "Dann wurde alles in Schnipseln im Atelier verteilt und rumprobiert: in welcher Abfolge ergeben sich die interessantesten Dialoge der Titel untereinander, was für eine Dramaturgie bietet sich an, wo sollen sich Titel zu Themenblöcken ballen und wo soll es sich zufälliger anfühlen, wie können wir unser eigenes System der Titelliste brechen?"
Die Titelliste liest sich nicht wie ein zusammenhängender Text, sondern eher wie ein erst lustig mäandernder, dann zunehmend eskalierender Twitter-Feed. Eine Inhaltsangabe wäre die falsche Form der Zusammenfassung, und auch Figuren sucht man hier vergeblich, denn in diesem Feed gibt es noch nicht einmal Absender:innen, sondern es reihen sich nur verdichtete Statements aneinander. Dabei ist "Titel" ein ziemlich weiter Begriff: Von Verballhornungen existierender Worte wie "Verweile doch, du bist so scheiße", "Alles über Deutschland, Deutschland" oder "Ästhetik des Einverständnis" über pointierte Thesen mit variierendem Ironiegehalt wie "Opern sind Unterschichtsfernsehen von früher" oder "Einstürzende Neubauten sind auch bloß die Blue Man Group für Studenten" streckt sich die Titelbandbreite bis auf Short-Story-Länge.
Konkurrenz um Aufmerksamkeit
Die gesprochenen und geschriebenen Titel kommentieren einander, in den Regieanweisungen werden manche Titel zum chorischen Sprechen empfohlen, und im Finale des Stücks sollen sich gleichzeitig gesprochene Titel so überlagern, dass sie einander in die komplette Unverständlichkeit katapultieren. In den längeren Beiträgen wird die Redundanz persifliert, die die verschärfte Aufmerksamkeitsökonomie des Internetzeitalters neben der hyperverdichteten Pointe ja auch produziert: Zum Beispiel in Titel 178, wo nach Regieanweisung auch noch alle vier Performer durcheinander sprechen und man das Video förmlich vor sich sieht: "Whow, that's a full rainbow all the way. Double rainbow. Oh my god, it's a double rainbow all the way. Whow, that's so intense. Whow, man, wow. Whow, uh, wow. Whooaaohaoha." Und so weiter.
Der nächste Titel lautet dann "Kann mir das wer tätowieren?" und diese Stelle ist bezeichnend für den Witz, der einen beim Lesen zuverlässig durch das nicht einfach zu konsumierende Stück trägt. Und der immer wieder die Konkurrenz aller Titel um die Aufmerksamkeit des Rezipienten aufs Korn nimmt – diese Konkurrenz ist aber natürlich gleichzeitig selbst Schöpfungsprinzip des Stücks. Das deutet ja auch schon der Titel an, der sich auf das 1986 veröffentlichte Buch "241 Bildtitel zum Ausleihen für Künstler" des Malers und Bildhauers Martin Kippenberger bezieht, der "zeitlebens höchst konfrontativ und kompetitiv mit anderen Künstler:innen umging", so FHS.
Allgegenwart von NS-Symbolik
Die Kippenberger-Referenz hat noch eine andere Ebene, denn wie Kippenberger setzen sich FHS mit der Allgegenwärtigkeit von NS-Symbolik in Kunst und (Pop-)Kultur auseinander. Und so ist die Titelsammlung durchsetzt mit Anspielungen auf Namen und Sätze aus dem Nationalsozialismus ("Sieg-Heilung ist hier schöne Sitte"), etwas subtiler aber auch mit Messages, wie sie in rechtsextremen Chatforen stehen könnten. Deren Hasspotential wird dann wieder vom Kontext entschärft. Ein weiterer Themenkomplex ist die Kunst selbst, der verschiedene, mitunter widersprüchliche Aufgaben übertragen werden: "Die Kunst hat eine Aufgabe Zu langweilen" oder auch "Kunst ist nicht Liebe, Kunst ist der Hammer, mit dem wir unseren Feind erschlagen" heißt es da zum Beispiel.
Außerdem geht es der Postmoderne an den Kragen, die FHS bereits 2020 in ihrer Video-Performance "Motor" frontal angriffen – eine theatergeschichtliche Abhandlung in Meme-Ästhetik, in der Heiner Müllers Lehrstück "Mauser" und Bertolt Brechts "Maßnahme" analysiert werden, um zu dem Schluss zu kommen: “Die Postmoderne ist kein Irrtum, sondern eine Ideologie" und "schuld am Rechtsruck". In "2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger" wird die Postmoderne nun etwas milder als "Siegeszug der Kunst in der Wissenschaft" definiert, aber dafür geht es ihr formal an den Kragen, indem das ganze Stück vorführt, wie faschistoide Referenzen und Gewaltaufrufe im postmodernen "Whatever" des Feeds verharmlost werden und sich gleichzeitig eben doch in den Köpfen der Rezipienten festsetzen.
"Es hätte natürlich unendlich viele Möglichkeiten gegeben, die Titel in einer anderen Reihenfolge anzuordnen", schreiben FHS – und möchten aber doch am liebsten für eine Uraufführung als Regisseur:innen selbst die Kontrolle über ihren Text behalten. Oder aber: "Wenn wir uns stattdessen jemanden aussuchen sollten, der das für uns inszeniert, fänden wir Herbert Fritsch klasse, der scheint uns eine ähnliche Vorliebe für abstruse Dada-Texte zu haben."