Freiheitshelden en miniature

Figurentheater hat in Georgien eine lange Volkstheater-Tradition. Hier werden auch politische Themen verhandelt. Beim Stückemarkt stellte die Figurentheatergruppe von Elene Matskhonahvili nun zwei georgische Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung vor.

von Verena Großkreutz

6. Mai 2024. So zart ist er, so zerbrechlich, dass man sofort gerührt ist: von diesem kleinen Mann, der gerade mal einen halben Meter misst: Niko Nikoladze – als Puppe der georgischen Figurentheatergruppe von Elene Matskhonahvili, die sich darauf spezialisiert hat, biografische Recherchen mit den poetischen Mitteln des Puppenspiels umzusetzen. Klein ist er, aber die Stäbe, die seinen Körper führen, sind so zahlreich, dass es vier Spieler:innen braucht. Dementsprechend fein und lebendig sind die Bewegungen der naturalistisch gestalteten Menschenminiatur.

"Niko Nikoladze" von Levan Khetaguri, Tengiz Khukhia und Elene Matskhonahvili © Mikhail Bagatelia

Schriftsteller, Aufklärer, Streiter für Georgiens Unabhängigkeit

Das Georgian Regional Theaters Network zeigte im Heidelberger Zwinger als Gastspiel eine Hommage an Niko Nikoladze (1843-1928), den georgischen Schriftsteller, den großen Aufklärer, der sich für Bildung für alle einsetzte, für die Pressefreiheit, der Stadtoberhäupter kritisierte und deshalb zeitweise verbannt wurde, der als Politiker für Georgiens Unabhängigkeit kämpfte und in der kurzen Zeit der Georgischen Republik (1918-1921) an wichtigen Sozial- und Wirtschaftsreformen beteiligt war. Ein großer Mann Georgiens, hier präsentiert en miniature – mit sehr viel Herzblut und Detailfreude. Bei seiner minimalistisch in Szene gesetzten Zugfahrt quer durch Europa (es reicht ein Eisenbahnfototablett und viel Geruckel) wird ihm gar eine brennende Minizigarette gereicht. Wenn vier Menschen eine kleine Puppe bewegen, dann sieht das per se ungeheuer fürsorglich und liebevoll aus. Da braucht es eigentlich keine weitere Puppe zum Schmusen: wie Nikoladzes großäugige Liebe Olga, die einen nur kurzen Auftritt hat.

Die kleine Bühne, effektvoll von unten durch Neonröhren beleuchtet, ist der Tisch eines Fotolabors, in dem Nikoladze zu Beginn zum Leben erweckt wird: Er entsteigt einem Selbstporträt-Foto. Seine Lebensgeschichte erklingt chronologisch aus dem Off, in Ich-Form, gesprochen von einer ruhigen, sonoren Stimme. Man sieht Nikoladze durchs Leben wandeln, in schickem Gehrock-Outfit des 19. Jahrhunderts, mit Sturmfrisur und Bart, durch Höhen und Tiefen. 

Elene Matskhonahvili, Levan Khetaguri, Tengiz Khukhia © Mikhail Bagatelia

Arg aufdringlich ist die Dauerunterlegung des feinen Figurenspiels mit satt-sentimentaler, pathostreibender Musik. Klar, dass viele seiner Zitate in diesen Zeiten zu politischen Statements werden: "Unser Weg führt nach Europa, und unsere Befreiung liegt in Aufklärung und Bildung." Oder: "Europa liebe ich, weil es keine Sklaven braucht, es will aufgeklärte Menschen."

Gefängnis und Berufsverbot

Auch die zweite Miniatur dieser Produktion darf man als politisches Statement verstehen, da Georgiens Regierung die Rechte der LGBTQ*-Community massiv einschränken will. Sie ist dem berühmten sowjetisch-armenischen Filmregisseur Sergo Parajanov (1924-1990) gewidmet, der in seinen Filmen armenische, georgische, ukrainische und aserbaidschanische Legenden in surrealen Bildern zu neuem Leben erweckte. Als homosexueller Künstler wurde er diskriminiert, zu Gefängnisstrafen und Berufsverbot verurteilt. Jetzt bringt sich Elene Matskhonahvili selbst ins Spiel: nicht nur als Spielerin der Parajanov-Puppe, sondern gleich auch noch als seine Mutter, aus deren Sicht sein Leben, sein Leiden und seine Lieben einfühlsam und poetisch erzählt werden.

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Niko Nikoladze & Sergo Parajanov
von Levan Khetaguri, Tengiz Khukhia und Elene Matskhonahvili
Georgisch mit deutschen Übertiteln
Regie: Elene Matskhonashvili, Puppenbau: Vakho Koridze, Musik: Schalwa Mackonaschwili, Produktion: Tengiz Khukhia, Levan Khetaguri. Mit: Ana Andghuladze, Wachtang Chkhartischwili, Nika Kvaratskhelia, Irakli Kvergelidze, Elene Matskhonashvili, Alika Tsekvashvili.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, 1 Pause

Gastland Georgien