Im Horrorhaus der Kindheit

Die reale Doris Bither gab es wirklich. Ihre Geschichte gehört zu den bekanntesten Poltergeist-Fällen. Regisseurin Yana Thönnes erschafft für ihre Rekonstruktion einen ganz eigenen Erzählraum und ein ganz eigenes Kunstwerk. "In Memory of Doris Bither" war nach der Premiere an der Schaubühne Berlin in aller Munde. Mehr über das Gastspiel beim Stückemarkt.

Von Verena Großkreutz

4. Mai 2024. Kein altes Spukhaus: ein leer geräumter Bungalow hinter breiter Glasscheibenfront. Mittig das Wohnzimmer, rechts ein Bad mit großer Eckwanne, links ein Schlafraum. Altrosane Gardinen und Mustertapeten. Ein hermetischer Raum, in dem Yana Thönnes ihr Stück "In Memory of Doris Bither" an der Schaubühne Berlin inszeniert hat. Ihr Text baut auf realen Ereignissen auf: geschehen 1974 im kalifornischen Culver City. Da behauptete Doris Bither, eine alleinerziehende Mutter, in ihrem Haus von einem oder mehreren unsichtbaren Wesen angegriffen und vergewaltigt worden zu sein. Niemand glaubte ihr. Sie schaltete einen Parapsychologen ein, denn sie will transparente menschliche Gestalten und Poltergeister wahrgenommen haben. Ein Stoff, der zum Roman wurde und 1983 zum Horrorfilm "The Entity", ohne dass Bither am Copyright und an den Einnahmen beteiligt worden wäre.

Yana Thönnes' "In Memory of Doris Bither" als Gastspiel beim Heidelberger Stückemarkt © Philip Frowein

Thönnes Stück spielt Jahrzehnte später. Bither ist längst tot. Jetzt kommen ihr Sohn, die Kinderdarstellerin aus "The Entity" und die damalige Nachbarin der Familie ins Horrorhaus zurück und bemühen sich in Gedenken an Doris Bither um die Rekonstruktion der Ereignisse. Aber es bleiben nur Erinnerungsfetzen: Schreie, Körperhaltungen, wo wer wann war oder die demütigende ärztliche Untersuchungsprozedur, die von Frauen nach Vergewaltigungen polizeilich eingefordert wird. Man hilft der Erinnerung fast manisch immer wieder aufs Neue auf die Sprünge, bleibt im Hamsterrad der Wiederholung stecken, als gäbe es kein Entkommen.

Rekonstruktion der Ereignisse

Den Sohn, ein Kind gebliebener Erwachsener mit strohblondem Kurzhaarschnitt, spielt Heinrich Horwitz mit autistischen Zügen: steht oft da mit ängstlich gesenktem Kopf und einem großen roten Teddy, den er mal zärtlich anspricht, mal aggressiv attackiert. Die einstige Kinderdarstellerin (Ruth Rosenfeld) bewegt sich merkwürdig: mal verkrampft-gymnastisch, mal akrobatisch in den Spagat hüpfend, oder sie liegt wie tot flach auf dem Boden. Die Nachbarin (Kate Strong) schleicht des Öfteren mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Unsichtbares deutend durch die Wohnung oder presst sich die Wand entlang, als ahne sie dort Körperliches.

Schaubuehne ENTITY MEMORY Foto Philip Frowein Druck 03Raum für den ganz realen Horror in Yana Thönnes' "In Memory of Doris Bither © Philip Frowein 

Jede Bewegung der drei folgt einer genauen Choreografie, und permanent läuft eine Tonspur mit: düstere Wiederholungsklänge, kurze melodische Fragmente, Celloknarzen, Missklänge, Geräuschhaftes. Die Zeichenhaftigkeit der Gestik, die Wiederholungsstrukturen: alles sehr durchgeformt, oft fast an der Grenze zum Tanztheater, die Sprache musikalisiert.

Anspielung auf den Großvater

Das, was im Raum steht, ist nicht wirklich fassbar, wirkt spooky und surreal. In Andeutungen aber scheint sehr Reales auf: ein massiv verdrängter Missbrauch in der Kindheit. Ein Trauma, das Doris Bither offenbar mit Barbituraten betäubte, die der Parapsychologe einst in Mengen in ihrem Zimmer fand. Und was ist mit der merkwürdigen Erscheinung, von der der Sohn berichtet? Ihm sei im Haus des Öfteren ein Poltergeist begegnet, der behauptet habe, er sei sein Großvater. Eine Anspielung, die Gewicht hat.

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In Memory of Doris Bither
von Yana Thönnes
Regie: Yana Thönnes, Bühne und Kostüme: Katharina Pia Schütz, Musik: Ville Haimala, Dramaturgie: Elisa Leroy und Martín Valdés-Stauber, Licht: Marcel Kirsten.
Mit: Heinrich Horwitz, Ruth Rosenfeld, Kate Strong.
Uraufführung/Premiere am 26. September 2023
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de