Geschlossene Gesellschaft

28. April 2024. In einem Garten, einem "SafER Space" sprechen neun Personen über ihr Leben, ihr Streben, ihr Scheitern und ihre Hoffnungen. Ganz normale Gespräche? Die neun sind Schwarz – und unterhalten sich vor dem Hintergrund ihrer je eigenen Erfahrungen mit Rassismus. Lamin Leroy Gibba hat mit "Doppeltreppe zum Wald“ eine Schwarze Konversationskomödie geschrieben, bitterböse und zugleich empowernd.

Von Elena Philipp

"Du kennst G-S-M-DIDLPAD nicht?" Anika ist entsetzt: Unbekannt sogar bei den Teilnehmenden, das von ihr organisierte Treffen der “Gemeinschaft Schwarzer Menschen die in Deutschland Leben Plus Afrikanische Diaspora”. G-S-M-DIDLPAD! Deswegen sind sie doch alle hier, in dem Garten, einem SafER Space, in dem die Vögel zwitschern, die Bäume rascheln und ab und an ein Insekt vorbeisurrt. Paradiesisch, ein Raum und Zeit enthobener Nicht-Ort. Utopie! Oder?

Ernährungsvorlieben, Pornos und Traumata,

So einfach ist die Situation natürlich nicht in Lamin Leroy Gibbas Konversationskomödie, in der neun Schwarze Personen in all ihrer Unterschiedlichkeit aufeinandertreffen. Erfahrungen mit Rassismus haben sie alle, sie leben ja schließlich in Deutschland. Aber wie sie damit umgehen, hängt von ihrer Persönlichkeit ab, von ihrem Lebensweg und ihren Entscheidungen. Lennard war als Kind "outgoing“, aber dann wurde er schüchtern und stumm. "Weil mir immer wieder gesagt wurde, dass ich meine Schwarze Schwuchtelfresse halten soll.“ Jetzt redet er wieder, sogar ohne Unterlass. Erzählt von seinem Buch, den Pornos, die er mit weißen Männern dreht, von seinen Ernährungsvorlieben und seinen Traumata.

Simon Olubowale, der Lennard in der SWR-Hörspielfassung von "Doppeltreppe zum Wald“ spricht, hat anfangs den höchsten Redeanteil. "Oh ja. Ich bin ein offenes Buch. Oder ein Hörbuch. Gelesen von mir. Das läuft, ohne dass man’s eingeschaltet hat“, kokettiert er. Und ist doch tief getroffen, als Elani (Pauline Afaja) sein Buch verreisst: "Es ist über vierhundert Seiten das Selbe. Du findest deine Mutter Scheiße und hast Sex mit weißen Typen. Wir habens verstanden.“ Da ereilt Lennard ein Soap-Moment, eingeschnappt will er die Party verlassen – wird aber, wie in Buñuels "Würgeengel“, von verborgenen Kräften zurückgehalten.

Brutale Offenherzigkeit

Organisatorin Anika (Benita Bailey), als hyperreflektierte Wissenschaftlerin im akademischen Widerstand befindlich, kümmert das alles nicht. Sie fühlt sich offenbar nicht für die Gäste zuständig, sondern für die diskursive Einordnung der Geschehnisse: "Schwarzes Innenleben wird von den Medien und dominanter Kulturherstellung so sehr abgeflacht.“ Eine Parallelmontage mit enormem Komikpotenzial, sowohl in Gibbas Theatertext wie in der Audiofassung, die als Ergebnis der Auszeichnung von "Doppeltreppe zum Wald“ mit dem SWR2-Hörspielpreis beim Heidelberger Stückemarkt 2023 entstanden ist.

Sarah Claire Wray, die Hörspiel-Regisseurin, hält sich mit auditiven Ausschmückungen weitgehend zurück. Neben den erwähnten Bäumen, Vögeln, Insekten trappelt nur einige Male ironisch eine Kutsche durch den Hintergrund. Orientiert hat sich Wray auch an Gibbas Forderung, alle Rollen mit Schwarzen Schauspieler*innen zu besetzen. Und an den Dialogvorgaben des Theatertexts: Personen fallen einander ins Wort, Konversationen finden gleichzeitig statt. Aneinander vorbei reden die Figuren sowieso, jede*r ist hier damit beschäftigt, möglichst vorteilhaft die eigene Identität zu performen. Wenn in der nur dem Etikett nach einmütigen Community doch einmal der Vorschlag für ein Miteinander ergeht – sich ein Glas Cola zu teilen oder gar zusammenzuziehen – wird einsilbig abgelehnt. In aller brutalen Offenherzigheit.

Bitterböse und zugleich empowernd spielt Lamin Leroy Gibba in "Doppeltreppe zum Wald“ mit dem Scheitern und seltenen Gelingen zwischenmenschlicher Kommunikation. Und zeichnet gleichzeitig ein komplexes Bild Schwarzen Lebens in Deutschland. G-S-M-DIDLPAD!

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Doppeltreppe zum Wald
Hörspiel nach dem Text von Lamin Leroy Gibba
Regie: Sarah Claire Wray, Ton und Technik: Boris Kellenbenz, Jean Szymczak und Christan Eickhoff, Dramaturgie / Redaktion: Manfred Hess, Besetzung: Nana Rademacher, Assistenz: Conny Walter / Martin Buntz, Produktion: SWR 2024.
Mit: Benita Bailey (Anika), Dena Abay (Maïmouna), Simon Olubowale (Lennard), Dela Dabulamanzi (Susanne), Pauline Afaja (Elani), Miguel Francisco (Prince), Tyrell Otoo (Femi), Komi Mizrajim Togbonou (Ben), Joy Grant (Zoya)
Ursendung am 27. April 2024
Dauer: 50 Minuten 

www.swr.de
Lamin Leroy Gibba © Jerry Joe