Gastspiel Theater Konstanz –Tragödienbastard
Die Wut in mir
2. Mai 2024. Während die Eltern an ihrer Sprachlosigkeit litten, wird der Tochter in Ewe Benbeneks "Tragödienbastard" die Sprache zur Waffe. Emel Aydoğdu hat am Theater Konstanz in seiner für den Nachspielpreis nominierten Inszenierung den Bericht einer (weiblichen) Selbstermächtigung als hochtouriges Frontaltheater inszeniert, wie Verena Großkreutz berichtet. Es gilt: "Raus aus dem Narrativ" der Opferrolle.
Von Verena Großkreutz
"Wir sind hier und nicht mehr wegzukriegen" ist ein schöner, kraftvoller Satz in Ewe Benbeneks Debütstück, der monologischen Textfläche "Tragödienbastard", für die sie 2021 mit dem Mülheimer Dramatikpreis ausgezeichnet wurde. Der Satz trifft die grundsätzliche Gefühlslage der emanzipierten jungen Frau, aus deren Gedankenstrom sich der Text nährt, auf den Punkt: Einerseits fühlt sie sich noch immer fremd im Land, in das ihre Eltern einst aus Polen einwanderten, andererseits ist sie erfüllt von einer widerständigen Wut, die sie antreibt, "den Boden", den die deutsche Gesellschaft ihr und ihrer Familie verwehrt, "zu unserem zu machen" − um der eigenen Existenz endlich Sicherheit zu verschaffen, auf einem Boden, "der nicht mehr verschwinden kann".
"Tragödienbastard" ist ein starker, lebendiger Text über (weibliche) Selbstermächtigung, und das Mittel zum Zweck ist in diesem Fall ganz klar die Sprache, mit der das Ich virtuos umzugehen weiß – inklusive Jugendsprech und Vulgarismen. Während ihre Eltern "mit Worten umgebracht wurden", zieht sie selbst die Sprache als Waffe,
Der "weinrote Luxuspass"
Zu Beginn noch in der Wortfindungsschleife redet sich die junge Frau in den Rausch: garniert mit wütenden Staccati und Crescendi entwickelt sich eine virtuose Suade über die eigenen Alltagserfahrungen und die ihrer Familie. Von ermüdenden Machtstrukturen und krassem Rassismus erzählt sie. Vom "weinroten Luxuspass", den die Eltern erst nach einem Jahrzehnt demütigender, kräftezehrender Behördengänge erhielten. Vom absurden Lehrer-Ratschlag, die des Deutschen nicht mächtigen Eltern sollten doch bitte mit den Kindern zuhause ausschließlich Deutsch sprechen, damit der Nachwuchs in der Schule nicht zurückbleibe.
Sie, die in Deutschland Abitur gemacht und studiert hat, und es deshalb – anders als ihre Eltern – zum "Aufstiegshero" respektive "AufstiegsSHEro" gebracht hat, hasst aber genau solche Narrative von "Migrantengeschichten" und jene vom "goldenen Westen" und jegliche Opferrolle sowieso. "Raus aus dem Narrativ", fordert sie.
In ihrer Inszenierung für das Theater Konstanz, einer Produktion für die kleine, intime Werkstattbühne, hat Emel Aydoğdu den Text auf drei Schauspielerinnen verteilt. Die sprechen oder skandieren ihn mal solo, mal im Chor, mal als Stimmengewirr. Aydoğdu hat das ohne viel Brimborium in Szene gesetzt, lässt den Text als hochtouriges Frontaltheater für sich sprechen. Ein bettartiges Podest mit rosa-weißgezacktem Batikmusterüberzug steht mitten auf der Bühne, dahinter an der Wand prangt das überlebensgroße Porträt dreier Frauen als Fotonegativ.
Die jungen Schauspielerinnen Kristina Lotta Kahlert, Lilian Prent und Ruby Ann Rawson spielen den Text sympathisch locker und flockig. Er kommt bei aller Wut, die ihm innewohnt, mit Leichtigkeit daher. Mal tanzen die drei zu melancholischen polnischen Liedern, mal kuscheln sie sich schläfrig auf dem Bettpodest zusammen.
Mit Federboa und Boxhandschuhen
Aydoğdu hätte freilich das Innere des Textes intensiver durchleuchten können und hätte dann vielleicht auch stärkere Bilder gefunden als das finale Herumtanzen zu harten Beats in schrägen Kostümen – ob mit Federboa und Boxhandschuhen oder in einer skurrilen Auftürmung aus Stanniolpapier. Der wütende Aufbruch in die Freiheit beginnt nämlich ganz lapidar beim Feiern und Tanzen und der Eroberung der dafür vorgesehenen Etablissements. "Ich fletsche meine High Heels" klingt da fast schon wie ein Fanal.
von Ewe Benbenek
Regie: Emel Aydoğdu, Bühne und Kostüme: Eva Lochner, Dramaturgie: Carola von Gradulewski.
Mit: Kristina Lotta Kahlert, Lilian Prent, Ruby Ann Rawson.
Premiere am 24. September 2023
Uraufführung am 30. Oktober 2020 am Schauspielhaus Wien
Dauer: 1 Stunde 5 Minuten, keine Pause
www.theaterkonstanz.de
Programm
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb I
13:30 Uhr
Die ersten hundert Tage von Lars Werner
14:30 Uhr
Brennendes Haus von Anaïs Clerc
16:00 Uhr
2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger von Frankfurter Hauptschule
Zwinger 1
Gastspiel Lichthoftheater Hamburg
JUDEN JUDEN JUDEN
von und mit Hamburger Jüd*innen und Texten von Simoné Goldschmidt-Lechner
Regie: Ron Zimmering und Dror Aloni
Uraufführung
Marguerre-Saal
Gastspiel Düsseldorfer Schauspielhaus
My Private Jesus
von Lea Ruckpaul
nach einer Idee von Eike Weinreich
Regie: Bernadette Sonnenbichler
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
präsentiert von Zwinger x
Rahmenprogramm
Eintritt frei
Zwinger 3 und online
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr
Ghostbike von Julie Gurgonis
14:30 Uhr
DRUCK! von Arad Dabiri
16:00 Uhr
Kind aus Seide von Leonie Ziem
Gastspiel Theaterhaus Jena
Die Hundekotatacke
von Walter Bart, Hannah Baumann, Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfanenmüller, Anna K. Seidel / Wunderbaum
Regie: Walter Bart
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Schauspielhaus Wien
Die vielen Stimmen meines Bruders
Es Stück für an- und abwesende Körper
von Magdalena Schrefel mit Valentin Schuster
Regie: Marie Bues und Anouschka Trocker
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Theater Bielefeld
else (someone)
von Carina Sophie Eberle
Regie: Nadja Loschky
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Alter Saal
Gastspiel Junges Schauspiel – Düsseldorfer Schauspielhaus
Time to Shine
Tanz und Theaterspektakel von Takao Baba + Ensemble
Inszenierung für schwerhörige und taube Menschen
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Stuttgart
forecast:oedipus
von Thomas Köck
Regie: Stefan Pucher
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Expanded Theater | Hochschule der Künste, Bern
FRONTSTAGE
Männlichkeit zwischen Spiel und Krieg
von und mit Polina Solotowizki, Bogdan Kapon und Ivan Borisov
Regie: Polina Solotowizki
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Theater Konstanz
Tragödienbastard
von Ewe Benbenek
Regie: Emel Aydoğdu
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Hannover
Fremd
von Michel Friedmann
Regie: Stefan Kimming
Uraufführung
Zwinger 3
Theater und Orchester Heidelberg
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau 10+
sehr frei nach Hans-Christian Andersen von Roland Schimmelpfennig
Regie: Marcel Kohler
Mülheimer Kinderstückepreis 2023
Alter Saal
Gastspiel Theater Lübeck
BOMB
von Maya Arad Yasur
Regie: Sapir Heller
Zwinger 3
Gastspiel Turbo Pascal, Berlin
Common Things
von Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Regie: Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Schauburg München
Erik*a 15+
mit Texten von Theresa Seraphin
Regie: Daniel Pfluger und Lukas März
Alter Saal
Gastspiel Landestheater Linz
Fischer Fritz
Regie: David Bösch
Marguerre- Saal
Gastspiel Schaubühne Berlin
In Memory of Doris Bither
von Yana Thönnes
Regie: Yana Thönnes
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
mit Musik aus dem Gastland Georgien
Eintritt frei
Sprechzimmer
Gastspiel Laboratory of Perfoming Arts, Tblissi
Zwilinge
von Giorgi Maisuradze
Regie: Giorgi Maisuradze
Gergisch mit deutschen Übertiteln
Zwinger 3
Eröffnung Gastland-Programm Georgien
Zwinger 3
Internationaler Autor:innenwettbewerb
13:30 Uhr Der weiße Hund von Davit Khorbaladze
14:30 Uhr Terzett von Marita Liparteliani
16:00 Uhr Wer klopft von Alex Chigvinadze
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili und Masho Makshvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Alter Saal
Gastspiel Royal District Theatre, Tblissi
Medea s01e06
von Paata Tsikola
Regie: Paata Tsikola
Georgisch mit deutschen Übertiteln
Sprechzimmer
Theater in Georgien
u.a mit Gastland Kurator Davit Gabunia
Podiumsgespräch
Eintritt frei
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili, Masho Makshvili und Elene Matskhonashvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Zwinger 1
Gastspiel Georgian Regional Theatre Networks
Niko Nikoladze - Sergo Parajanov
von Elene Matskhonashvili, Tengiz Khukhia und Levan Khetaguri
Regie: Elene Matskhonashvili
Georgisch nmit deutschen Übertriteln
Marguerre-Saal
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Antropolis II: Laios
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Karin Beier
Uraufführung
Alter Saal
Preisverleihung
Eintritt frei
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